Weihnachtsfeier 2004

Der Wolf und die sieben jungen Geißlein

(Frei nach dem Märchen der Brüder Grimm)

Es war einmal eine Geiß namens Boesecke, die hatte sieben junge Geißlein und hatte sie lieb, wie eine Mutter ihre Kinder liebhat. Eines Tages wollte sie von Wittenbeck nach Mahlendorf gehen und beim Friesen Schulz Futter holen, da rief sie alle sieben herbei und sprach: „Liebe Kinder, ich will hinaus, seid auf eurer Hut vor dem Wolf; wenn er hereinkommt, so frisst er euch alle mit Haut und Haar. Der Bösewicht verstellt sich oft, aber an seiner rauen Stimme und und an seinen schwarzen Füßen werdet ihr ihn gleich erkennen.“ Die Geißlein sagten: „Liebe Mutter, wir wollen uns in acht nehmen, Ihr könnt ohne Sorge fortgehen.“ Da meckerte die Alte froh und machte sich auf den Weg.

Es dauerte nicht lange, so klopfte jemand an die Haustür und rief: „Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht.“ Aber die Geißlein hörten an der rauen Stimme, dass es der Wolf war. „Wir machen nicht auf“, riefen sie, „du bist unsere Mutter nicht, die hat eine feine und liebliche Stimme, aber deine Stimme ist rau; du bist der Wolf.“ Da zupfte sich der Wolf am Höselbarth, ging zum Krämer Nitzschke und kaufte sich ein großes Stück Kreide: die aß er und machte damit seine Stimme fein. Dann kam er zurück, klopfte an die Haustür und redete mit Englingszungen: „Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht.“ Aber der Wolf hatte seine schwarze Pfote an die Fensterscheibe gelegt, das sahen die Kinder und riefen: „Wir machen nicht auf, unsere Mutter hat keinen schwarzen Fuß wie du; du bist der Wolf.“ Da guckte der Wolf bedoeppert, lief zum Becker Sültmann und sprach: „Ich habe mich am Fuß gestoßen, streich mir Teig darüber.“ Und als der ihm die Pfote bestrichen hatte, so lief er zum Müller Muske und sprach: „Streu mir weißes Mähl auf meine Pfote.“ Der Müller weigerte sich erst, aber der Wolf sprach: „Wenn du es nicht tust, so fresse ich dich.“ Da fürchtete sich der Müller und machte ihm schnell die Pfote weiß. Und der Wolf dachte: „Gut, ich verzeiß ihm.“Nun ging der Bösewicht zum drittenmal zu der Haustür, klopfte an und sprach: „Macht mir auf, Kinder, euer liebes Mütterlein ist heimgekommen und hat jedem von euch etwas mitgebracht.“ Die Geißlein riefen: „Zeig uns erst deine Pfote, damit wir wissen, dass du unser liebes Mütterchen bist.“ Da legte er den Wockenfuß ins Fenster, und als sie sahen, dass er weiß war, so machten sie die Tür auf. Wer aber hereinkam, das war der Wolf. Sie erschraken und wollten sich verstecken. Das eine, Riedel, sprang unter den Tisch, das zweite, Petschner, ins Bett, das dritte, Hoge, in den Ofen, das vierte, Hooge, in die Küche, das fünfte, Görmez, in den Schrank, das sechste, Lewin, unter die Waschschüssel, das siebente, Leweren, in den Kasten der Wanduhr. Aber der Wolf fand sie alle und machte nicht langes Federleesen: eins nach dem andern schluckte er in seinen Rachen; nur das jüngste in dem Uhrkasten, das fand er nicht. Als der Wolf satt war, legte er sich draußen wie ein Siegertyp auf der grünen Wiese unter einen Baum und fing an zu schlafen.

Nicht lange danach kam die Geiß wieder heim. Ach, was musste sie da erblicken! Die Haustür stand sperrweit auf: Tisch, Stühle und Bänke waren umgeworfen, die Waschschüssel lag in Scherben. Sie suchte ihre Kinder und dachte: „Ob ich mein eigen find?“, aber nirgends war jemand zu finden. Da rief eine feine Stimme: „Liebe Mutter, ich stecke im Uhrkasten.“ Sie holte es heraus, und es erzählte ihr alles. Da weinte sie und ging in ihrem Jammer mit dem jüngsten Geißlein hinaus. Als sie auf die Wiese kam, erblickte sie den Wolf, der am Baum lag und schnarchte. Sie betrachtete ihn von allen Seiten und sah, dass in seinem Bauch etwas zappelte. „Ach Gott“, dachte sie, „sollten meine armen Kinder noch am Leben sein?“ Sie sagte zum Geißlein: „Komm her, brich schnell auf und hole vom Förster Schere, Nadel und Zwirn!“ Dann schnitt sie dem Ungetüm den Wanst auf, und kaum hatte sie einen Schnitt getan, so streckte schon ein Geißlein den Kopf heraus, und als sie weiterschnitt, so sprangen nacheinander alle sechse heraus und hatten nicht einmal Schaden gelitten, denn das Ungetüm hatte sie in der Gier ganz hinuntergeschluckt. Da herzten sie ihre liebe Mutter. Die Alte aber sagte: „Jetzt geht und sucht Wackersteine, damit wollen wir dem gottlosen Tier den Bauch füllen, solange es noch im Schlafe liegt.“ Ein Füllhase namens Hadj Zobir zeigte ihnen große Steine, die die sieben Geißlein in aller Eile in einem Kossack herbeischleppten und die sie ihm in den Bauch steckten, soviel sie hineinbringen konnten. Dann nähte ihn die Alte schnell wieder zu. Als der Wolf endlich ausgeschlafen hatte, machte er sich auf die Beine, und weil ihm die Steine im Magen so großen Durst erregten, so wollte er zum Brunnen vom Fischer gehen und aus dem Stürzebecher trinken. Als er aber anfing zu gehen, so stießen die Steine in seinem Bauch aneinander.Da rief er: „Was rumpelt und pumpelt in meinem Bauch herum? Ich meinte, es wären sechs Geißlein, so sind’s lauter Wackerstein.“ Und als er wie ein Zappelphilipp an den Brunnen kam und sich über das Wasser bückte und trinken wollte, da zogen ihn die schweren Steine hinein und er musste jämmerlich ersaufen. Als die sieben Geißlein das sahen, da kamen sie herbeigelaufen und riefen laut: „Der Wolf ist tot, der Wolf ist tot!“ und scherzerten und tanzten mit ihrer Mutter um den Brunnen herum wie die Marzahner Promenaden-Mischung um den Weihnachtsbaum.

(Geschrieben und vorgetragen von B. Engling auf der Chorweihnachtsfeier am 15. Dezember 2004 unter Verwendung der Namen aller Chorkinder und Erwachsenen der Marzahner Promenaden-Mischung.)